Hanno Böck
Wo steht die Welt in Sachen Klimaschutz?
CO2 Emissions (Fossil fuels and Industry, GtC/yr), Global Carbon Budget 2019
30 Jahre Weltklimapolitik und die Emissionen steigen immer noch
CO2 Emissions (Fossil fuels and Industry), Global Carbon Budget 2019
CO2 Emissions (Fossil fuels and Industry), Global Carbon Budget 2019
Weltweit ist die Temperatur um etwa ein Grad wärmer geworden und wir sehen zunehmend die Auswirkungen
Hitzewelle und zahlreiche Temperaturrekorde in Europa (Juni/Juli 2019)
Buschbrände in Australien
Alle Nationen der Welt haben sich darauf verständigt, die Erde um drei Grad zu erwärmen
Das ist nicht das was üblicherweise über das Pariser Klimaschutzabkommen gesagt wird
Die Nationen haben sich auf eine Begrenzung des Temperaturanstiegs auf "deutlich unter 2 °C" geeinigt.
Es sollen "Anstrengungen unternommen werden, um den Temperaturanstieg auf 1,5 °C [...] zu begrenze".
Es gibt dabei aber ein Problem
Niemand weiß, wie das erreicht werden soll
Das Pariser Klimaschutzabkommen sieht freiwillige Klimaschutzmaßnahmen, sogenannte Nationally Determined Contributions (NDCs), vor
Wenn man die bisherigen NDCs zusammenrechnet kommt man auf eine wahrscheinliche Temperaturerhöhung von etwa drei Grad
Aktuell (~) | 1 °C |
Paris Ziel (ambitioniert) | 1.5 °C |
Paris Ziel (Minimum) | 2 °C |
Paris NDCs | 3 °C |
Aktuelle Politik | 3-4 °C (oder mehr) |
Der IPCC fasst die Ergebnisse der Klimawissenschaft zusammen
2018 veröffentlichte der IPCC einen Spezialbericht über das 1.5-Grad-Ziel
Zwei zentrale Aussagen des Berichts:
Jim E Maragos, U.S. Fish and Wildlife Service, public domain
1.5°C | 70-90% |
2.0°C | 99% |
1.5°C | ~ alle 100 Jahre |
2.0°C | ~ alle 10 Jahre |
1.5°C | 14% |
2.0°C | 37% |
Was müsste passieren, um Erwärmung auf 1.5 Grad zu begrenzen?
Reduktion um etwa die Hälfte bis 2030, CO2-neutral bis 2050
Sind die Prognosen des IPCC zu harmlos?
Viele Wissenschaftler sind besorgt darüber, dass die IPCC-Berichte zu zurückhaltend sind
Wir sehen dass die Klimamodelle die in den letzten fünf Jahrzehnten veröffentlicht wurden überwiegend sehr genau die globale Erwärmung in den Jahren nach ihrer Veröffentlichung vorhergesagt haben, insbesondere wenn man die Unterschiede zwischen modellierten und tatsächlichen Änderungen des CO2 und anderer Klimagase in der Atmosphäre berücksichtigt.
Verwirrend?
Klimawissenschaftler haben Klimaauswirkungen unterschätzt, aber die Modelle waren überraschend genau.
Kann das beides stimmen?
Ja.
Die Temperaturvorhersagen waren extrem genau, was teilweise unterschätzt wurde sind konkrete Auswirkungen der Temperaturänderungen.
Es gibt noch mehr Probleme
Klimawissenschaftler sagen uns, dass wir jetzt schnell handeln müssen, um die schlimmsten Auswirkungen der Klimakrise abzuwenden, aber wir können das immer noch erreichen
Ähnliche Aussagen gab es bereits vor Jahren
Die wissenschaftlichen Daten wurden nicht optimistischer, im Gegenteil
Wie ist das möglich?
Alle 1,5-Grad-Szenarien und die meisten 2-Grad-Szenarien gehen von einer großen Menge von negativen Emissionen in der Zukunft aus
Bäume pflanzen ist auf jeden Fall gut, aber es hat Grenzen und steht in Konkurrenz zu anderer Landnutzung
CO2 unterirdisch einlagern
Zwischen 2006 und 2010 wurden in Deutschland eine Welle neuer Kohlekraftwerke geplant und gebaut, und es gab damals die erste größere Diskussion um CCS
"Ja, Kohlekraftwerke verursachen viel Kohlendioxid, aber das ist kein Problem, wir können die Kraftwerke mit CCS nachrüsten und das CO2 in Zukunft speichern"
Das ist nie passiert
In Deutschland war CCS sehr kontrovers und es gab viele Proteste, aber ähnliche Projekte sind auch in anderen Staaten gescheitert, in denen es nahezu keine Proteste gab
Es gibt heute nur eine Handvoll aktive CCS-Projekte, die meisten davon im Zusammenhang mit sogenannter "Enhanced Oil Recovery"
Wenn man über Technologien wie Carbon Capture and Storage spricht besteht immer das Risiko dass diese lediglich als Ausrede dienen, um weiterzumachen wie bisher
Wir sollten aber eigentlich über negative Emissionen sprechen, nicht über Kohlekraftwerke mit weniger Emissionen
Realistischerweise wird Biomasse mit CCS nur eine geringe Rolle bei negativen Emissionen spielen
CO2 mit speziellen Maschinen direkt aus der Luft entfernen
Theoretisch machbar, aber die Größenordnungen sind gigantisch und bisher existiert die Technologie nur in kleinem Maßstab
Der vermutlich wichtigste Kritikpunkt am IPCC ist dass dessen Szenarien bisher Risiken von sogenannten Kipppunkten und Rückkopplungseffekten nicht hinreichend berücksichtigt hat
Erwärmung führt zu mehr Erwärmung
Eis reflektiert einen Teil der Sonnenstrahlungsenergie.
Wenn das Eis schmilzt wird weniger Energie reflektiert und die Ozeane erhitzen sich mehr.
An einem bestimmten Punkt kann ein System kollabieren, selbst wenn keine weiteren Emissionen ausgestoßen werden
Einige Wissenschaftler gehen davon aus, dass das West-Antarktische Eisschild und möglicherweise auch das Grönländische Eisschild sich bereits in einem solchen Prozess befinden und langfristig komplett abtauen werden (mehrere Meter Meeresspiegelanstieg).
Es könnte zu einer Situation kommen, in der sich diese Effekte gegenseitig verstärken und die Welt für lange Zeit auch ohne weitere Emissionen immer heißer wird
Die "Heißzeit"-Studie warnt dass ein solches Szenario bereits bei 2 Grad eintreten könnte
Trajectories of the Earth System in the Anthropocene, PNAS 2018
Climate tipping points — too risky to bet against, Nature 2019
Das ist alles mit großen Unsicherheiten behaftet und schwer zu modellieren
Es handelt sich dabei um langfristige Effekte, die über Jahrhunderte oder Jahrtausende stattfinden
Wir müssen aufhören, fossile Rohstoffe zu verbrennen, das ist offensichtlich
Das hier muss weg
Ich hab nicht viele gute Nachrichten, aber hier ist eine:
Erneuerbare Energien auszubauen ist deutlich einfacher als erwartet
Schritt 1: Auf CO2-freie Elektrizität umstellen
Schritt 2: Alles mit Strom betreiben
Stromerzeugung heute
Wie viel Strom brauchen wir denn?
Wo soll der ganze Strom herkommen?
Es geht nicht nur um Energie
Wie wird Zement hergestellt?
Diese chemischen Emissionen sind alleine für 5 Prozent der weltweiten Kohlendioxid-Emissionen verantwortlich
Die Gesamtemissionen von Zement sind noch höher (Energieverbrauch).
Ein Teil der Emissionen wird später durch den Zement wieder aufgenommen.
Tierhaltung ist für etwa 15 Prozent der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich
Es gibt Lösungen, aber es ist nicht einfach
Kann die Menschheit jenseits von Emissionsreduktionen und Negativemissionen etwas tun, um dem Treibhausgaseffekt mit Technik entgegenzuwirken?
Die realistischste Idee ist es Aerosole in der Atmosphäre auszubringen
(Die Effekte sind vergleichsweise gut verstanden, da dies auch bei Vulkanausbrüchen passiert)
Geoengineering wird bisher nur wenig diskutiert und der IPCC schließt Solar Radiation Management explizit in seinen Szenarien aus
Chemikalien in großem Maßstab in die Atmosphäre zu sprühen ohne genau zu wissen welche Auswirkungen das hat klingt ziemlich gefährlich
Wenn wir in einer Situation enden in der die Wahl besteht zwischen Geoengineering oder einem in großen Teilen unbewohnbaren Planeten müssen wir diese Diskussion vermutlich führen
Alleine darüber zu diskutieren beherbergt aber eine Gefahr: Es könnte von manchen als einfacher Ausweg gesehen werden
Es gibt viele falsche Vorstellungen über das Klimaproblem
In einer Umfrage wurden Personen in Deutschland gefragt:
"Welche der folgenden persönlichen Maßnahmen verringern den CO2-Ausstoß eines durchschnittlichen Deutschen am stärksten?"
Naiver Gedanke:
Wenn wir effizientere Technologien haben führt das zu weniger Energieverbrauch und weniger Emissionen
In der Realität passiert meistens etwas anderes
Ein VW Tiguan ist etwa doppelt so schwer wie ein originaler VW Golf und benötigt etwa genauso viel Sprit
Viel effizienter!
Es hilft nur dem Klima nichts
Jevons Paradox
Rebound Effect
Effizienz führt nicht automatisch zu weniger Emissionen und kann sogar zu mehr Emissionen führen
Es ist nichts falsch daran, die Klimakatastrophe mit besserer Technik zu bekämpfen, aber es ist schlicht nicht plausibel, dass Technologie und Innovationen alleine einen signifikanten Effekt haben
Es sieht insgesamt sehr schlecht aus
Es ist manchmal schwer, zwischen berechtigtem Pessimismus und irrationalen Übertreibungen zu unterscheiden
New York Magazine / David Wallace-Wells: The Uninhabitable Earth
Dieser Artikel basierte auf einem Klimaszenario namens
RCP 8.5 ist das Szenario aus dem IPCC-Bericht von 2013 mit den höchsten Emissionen
Es wurde manchmal auch unberechtigterweise als "Business-as-Usual"-Szenario bezeichnet
RCP 8.5 geht davon aus, dass die Menschheit 2100 6-7 mal so viel Kohle verbrauchen wird wie heute, was nicht sehr realistisch ist
Es gab zuletzt einige Diskussionen um RCP 8.5
Breakthrough Institute: A 3C World Is Now “Business as Usual”
Auch wenn einige Extremszenarien sehr unwahrscheinlich sind, könnte ein weiter so immer noch über vier Grad Erwärmung bis 2100 bedeuten, und langfristig noch viel mehr
Guy Mcpherson glaubt dass die Klimakatastrophe in den nächsten zehn Jahren alle Menschen töten wird und wir nichts mehr dagegen tun können
Gute Nachricht:
Das ist nicht das was die Wissenschaft uns sagt
Methanhydrat-Bombe
Bei Methanhydrat handelt es sich um gefrorenes Methan auf dem Meeresboden
Die Idee einer Methanhydrat-Bombe geht davon aus dass diese Vorkommen plötzlich in die Atmosphäre entweichen könnten und dann andere Feedback-Effekte auslösen
Praktisch alle Wissenschaftler halten das für unmöglich
Methanhydrate sind ein echtes Risiko und ein möglicher Feedback-Mechanismus, aber es geht hier um sehr langfristige Entwicklungen
Diese Katastrophenszenarien mischen verschiedene Dinge zusammen, aber sie basieren hauptsächlich darauf, anzunehmen, dass einige Effekte sehr kurzfristig eintreten können, bei denen die Wissenschaft von sehr langfristigen Effekten ausgeht (hunderte bis tausende Jahre)
Man könnte diese Sachen als lächerlich abtun, aber diese Theorien sickern teilweise in die Diskussion ein
VICE/Zing Tsjeng: The Climate Change Paper So Depressing It's Sending People to Therapy
Dieses Paper wurde - zu Recht - von einer wissenschaftlichen Publikationen abgelehnt, was aber nichts an seiner Popularität geändert hat
Jonathan Franzen, New Yorker: What If We Stopped Pretending?
Diese Doomsday-Vorhersagen sind nicht nur deshalb problematisch weil sie falsch sind
Sie vermitteln die Aussage:
"Wir können sowieso nichts mehr tun!"
Zwei sehr unterschiedliche Behauptungen mit der selben Schlussfolgerung
Der Klimawandel findet nicht statt | Es ist sowieso zu spät etwas zu tun |
Keine Veränderung |
Es gibt bei der Klimakrise kein "zu spät"
Wir können die Klimakatastrophe nicht mehr stoppen, sie hat längst angefangen
Aber es gibt kaum ein vorstellbares Szenario in dem es nicht sinnvoll ist die Emissionen so schnell wie möglich zu reduzieren
Die Ideen dass es einen Punkt gibt an dem es "zu spät" ist berufen sich meist auf die Diskussion um Tipping Points und Rückkopplungseffekte
Es handelt sich dabei überwiegend um langfristige Effekte, insbesondere was das Abschmelzen der Eisschilde angeht
Stellen wir uns vor die Menschheit muss wegen Hitze und dem Meeresspiegelanstieg große Landflächen räumen
Oder stellen wir uns vor dass die Menschheit in einem Notfall Geoengineering-Projekte starten oder in riesigen Mengen Negativemissionstechnologien ausbauen muss
Es macht natürlich einen Riesenunterschied ob das über Jahrzehnte, Jahrhunderte oder Jahrtausende passieren muss
Die Situation ist schlimm
Es ist absolut entscheidend was wir dagegen tun